BVL Interview kurz nachgefragt: „Jetzt die Chancen für die Zukunft nutzen. Die relevantesten Aspekte dazu von Andreas Breinbauer.“

Speziell in jüngster Vergangenheit sind die Rufe vor allem hinsichtlich einer Lösung der Situation rund um den Fachkräftemangel deutlich lauter geworden. Insofern ein relativ spontaner Anlass für die BVL Bundesvereinigung Logistik Österreich bei Andreas Breinbauer, Rektor der FH des BFI Wien, kurz nachzufragen. Im Interview der BVL werden die relevantesten Aspekte beleuchtet, welche insbesondere der Logistikwirtschaft eine Orientierung bieten, wie Marktpotenziale nachhaltig gesichert werden können. Denn die Vermittlung wichtigen Knowhows und berufliche Weiterentwicklung bilden das Fundament, um umfassend erfolgreich zu sein. Auch als Arbeitgeber. Daher gilt es jetzt die Chancen für die Zukunft zu nutzen.

BVL: Herr Breinbauer, was fasziniert Sie an Logistik und Transportmanagement?

Breinbauer: Die Themenfelder Logistik, SCM, Transport und Verkehr gehören für mich zu den spannendsten Zukunftsbereichen. Ich kenne – außer der Finanzwirtschaft – keine andere Branche, die so international, interkulturell und global ausgerichtet und mit allen anderen Wirtschaftssegmenten so verzahnt ist. Die LogistikerInnen sind wesentliche GestalterInnen der Globalisierung, tendenziell interkulturell offen aber gleichzeitig bodenständig. Die Herausforderungen und die Jobmöglichkeiten sind immens vielfältig. Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele spielt die Branche eine Schlüsselrolle.

BVL: Die Covid-Krise hat in bisher nie gekannter Weise die existenzielle Bedeutung der Logistik sichtbar gemacht. Inwiefern meinen Sie, hat sich dadurch die Wahrnehmung dieses Sektors in der Öffentlichkeit verändert?

Breinbauer: Jedenfalls, denn seit eineinhalb Jahren ist die mediale Präsenz der Logistik stark gestiegen. Die Covid- Krise, hat die Vulnerabilität der Lieferketten sichtbar gemacht. In die Schlagzeilen kommen „wir“ entsprechend der medialen Logik „bad news are good news“ allerdings vor allem dann, wenn die Supply Chains gestört sind. Das Fehlen von Masken und Atemschutzgeräten, Lieferprobleme bei Impfstoffen und jüngst die Ever Given und die damit verbundenen Verzögerungen für die EndkonsumentInnen wurden thematisiert. Erfreulich war, dass es auch in Österreich entsprechende Hintergrundberichterstattungen gegeben hat, was Logistik leistet und wie sie funktioniert. Leider ist es noch immer so, dass trotz großer PR-Anstrengungen in der breiten Öffentlichkeit, Logistik entweder unbekannt ist oder wenn bekannt, dann vielfach sehr verkürzt mit Lager oder LKW assoziiert wird. Unter den HeldInnen der Covid-Krise wurden die LogistikerInnen oft nur unter „ferner liefen“ genannt, was keineswegs der Bedeutung und Leistung entspricht.

Damit ist es im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen schwieriger, ambitionierten Nachwuchs für das Berufsfeld zu begeistern. Aber da gibt es tolle Pilotprojekte in den Schulen. Die FH des BFI Wien setzt unter anderem gezielt auf Kooperationen mit Schulen, im Logistikstudiengang auf Zusammenarbeit mit auf Logistik spezialisierten Schulen, um die SchülerInnen für die Logistik und damit für ein Studium bei uns zu begeistern.

BVL: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Transparenz sind beherrschende Themen im Logistiksektor. Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen der Zukunft?

Breinbauer: Ja, das sind wesentliche Themen, mit denen wir uns sowohl in der Forschung als auch Lehre in den Studiengängen „Logistik und Transportmanagement“  auseinandersetzen. Es wird meines Erachtens im Bereich der Logistik kein Zurück zu „Vor-Covid-Normal“ geben, da die KundInnen Digitalisierungsfortschritte, die im Bereich Intralogistik schon weit gediehen sind, einfordern werden. Der praxisorientierte Einsatz von Technologie, das Management digitaler Systeme, Datenanalyse und die Verknüpfung von Daten werden wichtiger werden und finden sich auch in unseren Programmen. Noch wichtiger als bisher werden KundInnenorientierung und die Individualisierung von Angebot und Nachfrage, neue Geschäftsprozesse, die auf neue Marktstrukturen referenzieren. Die LogistikerInnen müssen hinkünftig eine höhere digitale, aber auch soziale Affinität aufweisen, da die zunehmende Komplexität der Interaktion höhere Ansprüche an soziale Fähigkeiten stellt, vor allem in Beziehung mit den KundInnen. Es wird auch vermehrt darum gehen, optimale Mischformen von virtuell-analog-Kooperationsformen, intern wie extern, zu finden. Wir haben an der FH des BFI Wien ein Kompetenzzentrum „New Work – New Business“, das genau diese Themen bearbeitet.

Ich glaube, dass die Branche das Nachhaltigkeitspostulat momentan noch unterschätzt. Durch den Green Deal und die zu erwartenden Lieferkettengesetze werden sich die Rahmenbedingungen für europäische LogistikmanagerInnen stark ändern und für die Unternehmen neue Geschäftschancen eröffnen. Zwei weitere Aspekte scheinen mir noch wichtig: Die Bedeutung der Politik hat gegenüber der Wirtschaft zugenommen. Diese Entwicklung wird meines Erachtens sogar noch zunehmen, nicht nur im Hinblick auf die Nachhaltigkeit. Sowohl die USA als auch Europa, vor allem aber China, setzen auf eine Regionalisierung der Supply Chains, China möchte im Bereich der „internal Circulation“ rein chinesische Wertschöpfungsketten aufbauen, Huawei sogar bis Ende des nächsten Jahres. Das wird meines Erachtens gravierende Auswirkungen auf die weltweiten Lieferketten haben, zumindest in den nächsten 5 Jahren. Eine weitere wichtige Entwicklung ist, dass Logistik zunehmend „Urbane Logistik“ werden wird. 2030 werden 60% der Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben und mehr als ¼ der Menschen weltweit werden bevorzugt online bestellen. Die Logistik der Last Mile wird damit zum wichtigen Teil der Customer Journey – die Qualität der Zustellung wird zum wichtigen Element der KundInnenzufriedenheit im E-Commerce.

Genau diese zukünftigen Themen adressieren wir bereits jetzt in Forschungsprojekten wie zur Citylogistik (beispielsweise Last Mile – Umschlagsboxen, Güterverteilzentren der Zukunft) und globalen Wertschöpfungsketten insbesondere mit Schwerpunkt China (Belt and Road Initiative).

BVL: Was braucht es, um der Problematik des Fachkräftemangels entgegenzuwirken und die Attraktivität des Arbeitsfelds Logistik zu steigern?

Breinbauer: Wie oben beschrieben, geht es meines Erachtens darum, das Spektrum der Tätigkeitsfelder für LogistikerInnen öffentlich breiter darzustellen als bisher und die vielfältigen möglichen Karrierewege und Tätigkeitsfelder so darzustellen, dass es für Jugendliche attraktiv ist. Gleichzeitig müssen wir viel früher in der Ausbildung ansetzen und logistikrelevante Inhalte schon in den unteren Schulstufen diskutieren. Für Jugendliche ist das Thema Klimawandel ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste, Thema. Daher ist es essenziell, dass dieses Thema im Kontext mit Logistik auch positiv besetzt wird. Anders gesagt: Es würde den Nachwuchs besonders ansprechen, wenn sich die Logistik als wesentlicher Akteur positionieren würde, den Klimawandel einzubremsen und man Projekte in diesem Zusammenhang stärker vor den Vorhang holt. Ein weiterer Aspekt ist, es Frauen/Mädchen für die Logistikwirtschaft zu begeistern. Wir haben hier seit März 2020 mit dem DamenLogistikClub ein Mentoring Programm entwickelt, um jungen Frauen, unsere weibliche Studierenden, den Einstieg in den noch immer primär männlich besetzten Logistik-Bereich zu erleichtern. Derzeit betreuen neun hochkarätige Mentorinnen neun Mentees (Studentinnen und Absolventinnen der Bachelor- und Master-Studiengänge Logistik und Transportmanagement), das Projekt läuft wirklich vielversprechend.

BVL: Wodurch bestimmt sich der Markterfolg, auch im globalen Vergleich, von Transport- und Logistikunternehmen in Österreich?

Breinbauer: Österreichs Transport- und Logistikbranche ist so vielfältig, dass es keine pauschale Antwort geben kann. Einige wichtige Kriterien wurden bereits vorher beschrieben. Zwei Faktoren findet man in erfolgreichen Unternehmen regelmäßig vor:

(1) Eine klare Strategie, die zielstrebig verfolgt wird. KundInnenorientierung, Innovationsstreben (beispielsweise im Bereich der Digitalisierung) und Nachhaltigkeit sind jedenfalls wichtige Säulen erfolgreicher Strategien.

(2) Engagierte und qualifizierte MitarbeiterInnen. Eine hochwertige Ausbildung und lebenslanges Lernen sind dabei genauso wichtig, wie gute Arbeitsbedingungen und soziale Innovationen in der Arbeitswelt.

Natürlich gibt es immer Luft nach oben: Insgesamt sind aber europäische und insbesondere österreichische Logistikunternehmen gut aufgestellt, auch deswegen, weil auch die Logistik-Aus- und Weiterbildung hervorragend ist. Manchmal ist es auch kein Nachteil, dass die Logistikunternehmen aus einem kleinen, neutralen Land heraus agieren.

Die BVL Österreich dankt für diese umfassenden Einblicke sowie Ausblicke. Die Zukunft bleibt jedenfalls spannend, und wer deren Chancen nutzen will, sollte jetzt den Wissenstransfer samt Informationsfluss sicherstellen.


Ideelle Partner der Kompetenzvernetzung Österreichs im Sektor Logistik